Zur Person

Autobiographische Reflexion unten

Elisa Klapheck (*1962, Düsseldorf) ist Rabbinerin der liberalen Synagogengemeinschaft "Egalitärer Minjan" in der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main und Professorin für Jüdische Studien an der Universität Paderborn.
 
Vor ihrer Ordination im Jahre 2004 war die studierte Politologin zunächst jahrelang Journalistin für Tageszeitungen wie „Der Tagesspiegel“ und „die tageszeitung“ sowie Rundfunk und Fernsehen. 1997 wurde sie Pressesprecherin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Redakteurin der Zeitschrift „jüdisches berlin“.
Klapheck engagiert sich seit den 90-Jahren für eine Erneuerung der jüdisch-religiösen Tradition. So gehörte sie zu den Mitbegründern der liberalen Synagoge Oranienburger Straße in Berlin. 1999 entstand maßgeblich durch ihre Initiative „Bet Debora“, eine historisch erstmalige „Tagung europäischer Rabbinerinnen, Kantorinnen und rabbinisch gelehrter Jüdinnen und Juden“. Die Tagung wurde dreimal in Berlin gehalten und findet seitdem in anderen europäischen Städten statt.
 
2005 zog Klapheck für vier Jahre nach Amsterdam und war dort als erste Rabbinerin in der niederländisch-jüdischen Geschichte bei der Gemeinde „Beit Ha’Chidush“ (Haus der Erneuerung) angestellt. Im Jahre 2009 kam sie nach Deutschland zurück und ist seitdem offiziell Rabbinerin des Egalitären Minjan in der Frankfurter Gemeinde. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Auseinandersetzung mit talmudischen und anderen rabbinischen Texten im Lichte heutiger gesellschaftspolitischer Fragestellungen. In diesem Zusammenhang tritt Klapheck für einen neuen Dialog zwischen Religion und Politik ein.
 
Klapheck ist Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz in Deutschland (ARK) sowie associate member des Rabbinic Board von Liberal Judaism in Großbritannien. Außerdem ist sie Vertrauensdozentin des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks für jüdische Begabtenförderung (ELES).

Sie schreibt regelmäßig rabbinische Kommentare für die „Jüdische Allgemeine“ und öffentlich-rechtliche Radiosender. Von ihr erschienen sind u.a. die Bücher „Fräulein Rabbiner Jonas - Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?" (1999), „Bertha Pappenheim – Gebete / Prayers“ (2003) und „So bin ich Rabbinerin geworden. Jüdische Herausforderungen hier und jetzt“ (2005).

2012 promovierte Klapheck summa cum laude mit einer Dissertation über die jüdische Religionsphilosophin Margarete Susman. Sie erschien unter dem Titel „Margarete Susman und ihr jüdischer Beitrag zur politischen Philosophie“. Darüber hinaus hat Klapheck mit Frankfurter Juden und Nichtjuden „Torat Hakalkala – Verein zur Förderung angewandter jüdischer Wirtschafts- und Sozialethik“ gegründet. Seit 2015 gibt sie die Reihe „Machloket / Streitschriften" heraus, in der Gegenwartsautoren eine inhaltliche Auseinandersetzung zur Weiterentwicklung der jüdischen Tradition führen. 2016 wurde sie Professorin für Jüdische Studien am Zentrum für Komparative Theologie der Universität Paderborn.


Jubiläum 20 Jahre Egalitärer Minjan in Frankfurt, v.l.n.r. OB Peter Feldmann, Rabbinerin Elisa Klapheck, Barbara Traub, Prof. Salomon Korn, Aviva Goldschmidt, Marc Grünbaum






Autobiographische Reflexion


Seit 2009 bin ich die Rabbinerin des Egalitären Minjan in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main. Der Weg dahin spiegelt meine Generation wider, die langsam zu einer neuen, positiven Perspektive für das jüdische Leben in Deutschland bzw. in Europa gelangt.

In meiner Familie gibt es drei biografische Felder, die sich über die Generationen und auch in meinem Leben immer wieder neu überschneiden: Judentum, deutsche Moderne und die Niederlande.

Geboren 1962 in Düsseldorf, besuchte ich parallel zur Schule den Religionsunterricht der orthodox geprägten jüdischen Gemeinde. Damals war für mich die Religion jedoch noch nicht wichtig. Ähnlich wie bei den meisten anderen jüdischen Kindern und Jugendlichen formte sich meine jüdische Identität im Bann der Schoa. Daraus erfolgte eine negative Einstellung zu Deutschland und eine positive Orientierung an Israel.

Mit 13 nahm mein Leben jedoch eine Wendung in die Niederlande - das Land, in das meine Großeltern vor den Nazis geflüchtet waren und wo meine Mutter geboren wurde. Dort machte ich an der internationalen Schule „Eerde“ (Ommen) einen englischen Schulabschluss und studierte ab 1979 in Nijmegen Politologie.
 
Zwei wiederkehrende Motive, die mir damals jedoch noch nicht bewusst waren, bestimmten meinen weiteren Weg.
 
Das eine Motiv bezeichne ich heute als „Heimkehren nach Deutschland“. Es bedeutet zurückzugehen und auch zurückzusehen, aus dem Schatten der Schoa herauszutreten, die Identität der „zweiten Generation“, also der Kinder von Schoa-Überlebenden, abzustreifen und zu versuchen, zu einer „ersten Generation danach“ zu werden - einer Generation von Juden, die nach dem grauenvollen 20. Jahrhundert wieder eine positive Perspektive des Judentums in Deutschland – und nunmehr: Europa entwickelt. Diesen Weg habe ich in meinem Buch „Wie ich Rabbinerin wurde“ beschrieben (Herder, Freiburg 2012).


1995 las ich bei einer Tagung liberaler Juden in Arnoldshain erstmals öffentlich aus der Tora vor.
Foto: Ruben Frankenstein


 
Das andere Motiv besteht in meinem Drang, den inneren Zusammenhang zwischen Politik und jüdischer Religion für die Gegenwart neu zu erschließen. Damit meine ich keine orthodox verstandenen, theokratischen Forderungen der Bibel, sondern die rechtsstaatlichen und demokratischen Grundlagen der modernen Gesellschaft, die zu einem erheblichen Teil dem Judentum zu verdanken sind. In diesem Zusammenhang trete ich für einen „säkular-religiösen Dialog" ein, der maßgeblich von der jüdischen Tradition inspiriert sein sollte.

Die beiden Motive - Heimkehren nach Deutschland sowie die innere Verbindung zwischen Judentum und Politik - prägten mein Studium und meinen ersten Beruf. 1982 war ich nach Deutschland zurückgekehrt. 1986 schloss ich in Hamburg das Politologiestudium mit dem Nebenfach Öffentliches Recht ab. Danach wurde ich Journalistin in Berlin, machte dort ein Volontariat bei „Der Tagesspiegel“, arbeitete mehrere Jahre bei „die tageszeitung (taz)“ und danach als Nachrichtenredakteurin in „deutsche welle tv“.
Obwohl ich mich in all diesen Jahren nicht für religiös hielt, ging ich dennoch zugleich auch einen religiösen Weg. Noch als Studentin in Hamburg las ich mit ein paar jüdischen Freundinnen aus Interesse regelmäßig ein Stück Tora in Hebräisch und diskutierte über seinen politischen Horizont. In Berlin setzte ich das auf autodidaktische Weise fort und studierte irgendwann parallel zur journalistischen Arbeit Judaistik.

1989 verbrachte ich mehrere Monate in Israel und verwarf dort endgültig die Möglichkeit einer Alija (Auswanderung). Wenige Stunden vor dem Fall der Berliner Mauer, ohne den historischen Moment zu ahnen, kehrte ich nach Berlin zurück. In den folgenden Jahren verfasste ich als Journalistin unzählige Fernseh- und Radioreportagen über den Öffnungsprozess der ehemaligen Ostblockstaaten. Viele Beiträge galten dem dortigen jüdischen Leben. Auf diese Weise knüpfte ich an dem wenigen Übriggebliebenen der Geschichte des europäischen Judentums neu an. Erst in dieser Zeit lernte ich die Bedeutung des deutschen Judentums – wie überhaupt die jüdische Geschichte Europas in ihren jeweils nationalen Ausformungen - zu ermessen und mich selbst als „deutsche Jüdin“ zu akzeptieren.
 
 


2006 feierte der Egalitäre Minjan in Frankfurt Bat Mizwa. Die Frauen gestalteten zusammen mit mir einen Gottesdienst mit Toralesung; im nächsten Jahr taten die Männer dasselbe. Foto: Rafael Herlich


Zu meinem Amt gehören auch Trauungen, hier eine Chuppa am Lago Maggiore.



Zunehmend drängten sich jüdische Elemente in meine politische Sprache. Zugleich trat ich immer selbstbewusster als „religiöse Jüdin“ auf, womit ich das liberale Judentum meinte und eine inhaltliche Erneuerung der jüdischen Tradition forderte. Mitte der 1990-er Jahre entschied ich mich für die religiöse Seite. Zusammen mit anderen liberal eingestellten Juden gründete ich einen „Egalitären Minjan“ – eine Betergemeinschaft, in der Männer und Frauen von vornherein gleichberechtigt den Ritus ausübten. Später zogen wir in die Synagoge Oranienburger Straße ein. Dort trat ich mit Tallit (Gebetsschal) und Kippa auf die Bima (Podest) und las öffentlich aus der Tora vor.


2009 nahmen an meiner offiziellen Amtseinführung als Rabbinerin des Egalitären Minjan Zentralratspräsident Dr. Dieter Graumann und Vorstandsmitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) Landesrabbiner Jonah Sievers teil.


Ende 1997 wurde ich Pressesprecherin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und gab in dieser Funktion auch die Gemeindezeitschrift „jüdisches berlin“ heraus. Darin verfolgte ich in Bezug auf die jüdische Religion einen pluralistischen Ansatz.
In der neuen Position folgten die Ereignisse Schlag auf Schlag. 1999 gehörte ich zu den Initiatorinnen von „Bet Debora Berlin"   – einer historisch erstmaligen „Tagung europäischer Rabbinerinnen, Kantorinnen, rabbinisch gelehrter Jüdinnen und Juden“. Hierauf folgten noch zwei weitere, ebenso bahnbrechende Tagungen in Berlin, seitdem „wandert“ Bet Debora durch verschiedene Städte Europas.
1999 erschien außerdem mein Buch über die erste Rabbinerin der Welt - „Fräulein Rabbiner Jonas - Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?“ (Hentrich & Hentrich, Teetz 2000).
Dank meiner Auseinandersetzung mit Regina Jonas begann ich meinen bisherigen Lebensweg im Lichte seiner unabweisbaren jüdisch-religiösen Herausforderung zu sehen und entschied mich, ebenfalls 1999, zu einem Rabbinatsstudium im „Aleph Rabbinic Program“.

Nach meiner Ordination 2004 lud mich der „Egalitäre Minjan“ in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt ein, einen Festgottesdienst anlässlich seines zehnjährigen Jubiläums zu leiten. Seitdem bin ich diesem Minjan verbunden und wurde 2009 offiziell dessen Rabbinerin. In der Zwischenzeit lebte ich allerdings wieder in den Niederlanden. 2005 wurde ich Rabbinerin der progressiven jüdischen Gemeinde „Beit Ha’Chidush“ in Amsterdam - und damit die erste Rabbinerin in der niederländischen Geschichte (siehe Rubrik „Nederland“). Es folgten vier Jahre, in denen ich parallel in Amsterdam und in Frankfurt arbeitete, bis ich 2009 erneut nach Deutschland „heimkehrte“ – nunmehr nach Frankfurt, wo ich seitdem lebe.

Bei einer Veranstaltung über jüdische Wirtschafts- und Sozialethik mit (v.l.n.r.) Roberto Fabian (Jüdische Volkshochschule), Tina Delavre (B’nai B’rith Frankfurt Schönstädt Loge), Abraham de Wolf (Torat HaKalkala), Elisa Klapheck, Lothar Binding (MDB und des Ausschusses für den europäischen Rettungsschirm). Foto: Rafael Herlich


Neben meinen rabbinischen Gemeindeverpflichtungen publiziere ich Artikel, Aufsätze und Radio-Beiträge mit einer rabbinischen Sicht auf das politische Zeitgeschehen. Überdies bin ich Mitglied der „Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK)“, assoziiertes Mitglied des Rabbinic Board von „Liberal Judaism“ und Mitglied der Rabbinerorganisation „Ohalah“ sowie Mitglied der Rabbinerorganisationen „Ohalah“ und Reconstructionist Rabbininicas Association (RRA).

Parallel zur rabbinischen Arbeit promovierte ich 2012 mit einer Arbeit über die politische Tragweite im religionsphilosophischen Werk von Margarete Susman. Hierauf folgte eine Reihe von Lehraufträgen an verschiedenen Universitäten sowie seit 2016 eine Professur für Jüdische Studien am Zentrum für Komparative Theologie der Universität Paderborn.

Im Zuge meiner Vorstellung, dass die jüdische Tradition an der politischen Gestaltung der Gegenwart teilhaben muss und als Reaktion auf die neuen wirtschaftspolitischen Herausforderungen habe ich Ende 2011 zusammen mit wirtschaftlich interessierten Frankfurter Juden und Nichtjuden den Verein „Torat HaKalkala – Verein zur Förderung der angewandten jüdischen Wirtschafts- und Sozialethik e.V.“ gegründet (siehe Politisches Judentum).  Außerdem veranstalte ich in Frankfurt die Reihe „Jüdisch-Politisches Lehrhaus“).  

Rückblickend erscheint mir mein Leben randvoll mit Herausforderungen. Trotzdem habe ich erst spät meinen Weg gefunden, bin erst mit über 40 Rabbinerin geworden, habe erst mit 50 promoviert, erhielt mit 54 Jahren eine Professur für Jüdische Studien. Es fehlte zu all dem zunächst der Rahmen, oder noch ein Schritt davor: eine mögliche positive Perspektive für das jüdische Leben in Deutschland bzw. in Europa. Diesen Rahmen musste meine Generation erst neu erstellen - sie ist damit jedoch noch mittendrin. 


Links

www.minjan-ffm.de
www.a-r-k.de

www.jg-ffm.de
www.juedische-allgemeine.de
www.zentralratdjuden.de

www.liberaljudaism.org
www.liberale-juden.de
www.ohalah.org
www.beithachidush.nl

www.hakalkala.de

www.bet-debora.net, www.facebook.com/BetDebora
www.hagalil.com
www.juedisches-europa.net
www.eles-studienwerk.de

https://kw.uni-paderborn.de/zekk/
 

1. Lehrhausveranstaltung mit Hauke Brunkhorst und Micha Brumlik Blick zurück nach vorn (PDF) Amtseinführung 2009 (PDF) Portrait FAZ (PDF)